Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit – und schon ist es passiert. Der Ball rollt auf die Straße, das Kind läuft hinterher. Das Herz bleibt kurz stehen, ein Autofahrer bremst scharf. Puh, Glück gehabt! Solche Szenen kennen viele Eltern nur zu gut. Kinder sind kleine Abenteurer, die noch kein Gefahrenbewusstsein haben. Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder e. V. verletzen sich jedes Jahr rund 1,7 Millionen Kinder so schwer, dass sie ärztlich versorgt werden müssen. Das sind ganz schön viele blaue Flecken, aber eben auch vermeidbare Unfälle. Dieser Artikel soll sensibilisieren, aber nicht verängstigen. Denn mit ein paar einfachen Maßnahmen lassen sich viele Risiken minimieren, ohne dass das Leben in ein einziges „Pass auf!“ ausartet.
Verkehrssicherheit für Kinder
Der Schul- oder Kita-Weg ist für viele Kinder der erste Schritt in Richtung Selbstständigkeit. Damit sie ihn sicher meistern, hilft es, ihn gemeinsam zu üben. Klare Regeln wie „An der Bordsteinkante stehen bleiben“ oder „Immer erst nach links und rechts schauen“ sind dabei essenziell. Und dann ist da noch die Sache mit der Sichtbarkeit: Gerade in der dunklen Jahreszeit sind helle Kleidung und reflektierende Accessoires ein echtes Plus. Verkehrspsychologe und Buchautor Karsten Hieronimus schreibt in „Sicher unterwegs mit Kindern“: „Kinder reagieren impulsiv und nehmen Geschwindigkeiten oft falsch wahr. Eltern sollten sie frühzeitig auf den Straßenverkehr vorbereiten und ihnen klare Verhaltensregeln mitgeben.“ Fahrradfahren oder Rollerfahren ist für viele Kinder ein riesiges Abenteuer. Doch ohne Helm geht nichts! Der sollte gut sitzen und das CE-Siegel tragen. Beim Fahren selbst gilt: Keine Ablenkung durch Kopfhörer oder Handys – schließlich brauchen Kinder beide Hände und volle Aufmerksamkeit. Auch Spielplätze sind nicht immer so harmlos, wie sie scheinen. Schnell mal über die Schaukel gerannt oder kopfüber vom Klettergerüst gehangelt – und schon kann’s wehtun. Deshalb lohnt es sich, mit den Kindern immer mal wieder über sicheres Verhalten zu sprechen, ohne ihnen den Spaß zu verderben.
So wird das Zuhause kindersicher
Das Zuhause soll ein sicherer Rückzugsort sein – doch tatsächlich passieren hier die meisten Unfälle. Besonders häufig sind Stürze, weil kleine Entdecker gern überall hochklettern. Schutzgitter an Treppen, rutschfeste Teppiche und gepolsterte Tischkanten können helfen. In der Küche und im Bad lauern weitere Gefahren: Heiße Töpfe, herumstehende Kaffeetassen oder Putzmittel in Reichweite – all das kann für kleine Hände zur echten Gefahr werden. Also besser alles außer Reichweite oder in abschließbaren Schränken verstauen. Kinderärztin Dr. Claudia Hübner betont in ihrem Ratgeber „Kinder sicher aufwachsen“: „Kinder verstehen Sicherheitsmaßnahmen besser, wenn sie aktiv einbezogen werden. Eltern sollten Regeln nicht nur vorgeben, sondern erklären, warum sie wichtig sind.“ Auch Steckdosen in Bodennähe sollten unbedingt gesichert werden, denn kleine Finger sind blitzschnell. Wasser – sei es in der Badewanne oder im Planschbecken – kann ebenfalls zur Gefahr werden. Deshalb gilt: Kinder nie unbeaufsichtigt lassen. Mit ein bisschen Vorbereitung lässt sich die Wohnung in eine sichere Umgebung verwandeln, in der sich die Kleinen trotzdem frei bewegen können.
Was tun, wenn doch etwas passiert?
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen: Kleine Unfälle gehören zum Großwerden dazu. Ein aufgeschlagenes Knie, eine blutige Lippe – das kennen wohl alle Eltern. Die große Frage ist dann immer: Pflaster drauf oder lieber zum Arzt? Grundsätzlich gilt: Kleinere Schrammen lassen sich mit Desinfektionsspray und einem bunten Pflaster gut versorgen, aber bei starken Blutungen, Kopfverletzungen oder Verbrennungen sollte ärztlicher Rat eingeholt werden. Besonders heikel sind Notfälle, in denen Kinder sich verschlucken. Dann heißt es: Ruhe bewahren und schnell handeln. Ein sanfter Schlag zwischen die Schulterblätter kann oft helfen. Bleibt der Fremdkörper stecken, muss sofort ein Notruf abgesetzt werden. Die Pädagogin und Erste-Hilfe-Trainerin Anne Riedel erklärt in ihrem Buch „Erste Hilfe am Kind“: „Eltern sollten sich nicht auf ihr Bauchgefühl verlassen, sondern regelmäßig einen Erste-Hilfe-Kurs besuchen, um in Notfällen sicher zu handeln.“
Apropos Notruf: Die 112 sollte gut sichtbar in der Wohnung hängen, und ältere Kinder sollten sie kennen. Und wer sich bei Erste-Hilfe-Maßnahmen unsicher fühlt, kann einen speziellen Kurs für Erste Hilfe am Kind besuchen. Kinderärztin Dr. Martina Weber rät in ihrem Buch „Kindernotfälle erkennen und richtig handeln“: „Eltern, die regelmäßig ihre Kenntnisse auffrischen, reagieren im Notfall souveräner und können oft Schlimmeres verhindern.“
Sicherheit bedeutet nicht Stillstand
Kinder sollen rennen, klettern, toben und die Welt entdecken – aber eben sicher. Es geht nicht darum, jede noch so kleine Gefahr auszuschließen oder den Nachwuchs in Watte zu packen. Vielmehr können Eltern ihren Kindern helfen, Risiken besser einzuschätzen. Wer erklärt, zeigt und vorlebt, anstatt nur zu verbieten, gibt seinen Kindern die besten Werkzeuge mit auf den Weg. So lernen sie, mit Herausforderungen umzugehen – und wachsen sicher in ihre eigene kleine Welt hinein. Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Susanne Mertens fasst es in „Kinder stark machen“ zusammen: „Eltern sollten nicht nur auf Sicherheit achten, sondern Kinder auch befähigen, selbstständig mit Risiken umzugehen und daraus zu lernen.“