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Die Verantwortung für das Wohl des Kindes liegt bei mir!

Ein konkreter Fall: Es ist kurz nach der Coronapandemie, Sinas Mutter wohnt im Ausland und ist momentan zu Kontrolluntersuchungen stationär im Krankenhaus in der Nähe der Tochter untergebracht. Sina hat vor zwei Monaten ein Kind bekommen. Es ist nach zahlreichen Versuchen das absolute Wunschkind. 

Porträt Ronya Tillenburg

Laura Rüther

15.09.2025

Lesezeit 4 Minuten

Die Eltern des Babys sind verständlicherweise besonders sorgsam und Sina will, dass ihre Mutter bei Besuchen immer Maske trägt, da sie aus dem Krankenhaus viele Keime mitbringen kann. Gegen das RS-Virus werden die Babys zu der Zeit noch nicht geimpft. Ihre Mutter geht unachtsam mit der Maske um, nimmt sie manchmal ab, wenn es ihr zu heiß wird. Sina ist maximal genervt von ihrer Mutter.  

Ronya Tillenburg ist systemische Beraterin mit Schwerpunkt Familienberatung. Ronya, wie siehst du die oben beschriebene Mutter-Tochter-Situation mit der Maske? Kann man einem der beiden Recht geben?

In diesem Fall geht es nicht darum, wer „Recht hat“, sondern darum, Verantwortung und Sorge füreinander zu tragen. Die Mutter trägt die Verantwortung für das Wohlergehen ihres Neugeborenen und möchte mit dem Wunsch an ihre Mutter, eine Maske zu tragen, eine Schutzmaßnahme treffen. Die Großmutter hingegen hat vielleicht das Bedürfnis nach mehr Freiheit oder Komfort. Beide Perspektiven sind nachvollziehbar. Wichtig ist, dass die Mutter ihre Sorge und die Notwendigkeit des Schutzes kommuniziert und dass die Großmutter ihre Bedürfnisse respektvoll anpasst, ohne die Sicherheitsbedürfnisse der Mutter zu verletzen. Hilfreich ist hier, miteinander über das Bedürfnis hinter dem Konfliktthema zu sprechen, ohne sich in allgemeinen Diskussionen zu verstricken, die die individuelle Situation aus dem Blick verlieren und das Konfliktgeschehen komplexer werden lassen. Ein respektvoller Umgang und ein offenes Gespräch über die jeweilige Perspektive können den Konflikt lösen und das gegenseitige Vertrauen sowie die Beziehung zueinander stärken.

Was sind typische Konflikte zwischen Eltern und Großeltern?

Konflikte zwischen Eltern und Großeltern entstehen häufig, wenn die Eltern einen anderen Erziehungsstil wählen als ihre eigenen Eltern. Manche positiven Erfahrungen aus ihrer Herkunftsfamilie möchten sie vielleicht an ihre Kinder weitergeben, andere Dinge, die als ungut erlebt wurden, nach eigener Reflexion anders machen. So können Eltern sogenannte Cycle-Breaker werden – Menschen, die bewusst dysfunktionale Erziehungsmuster aus ihrer eigenen Kindheit durchbrechen möchten. Dies kann zu Konflikten führen, wenn Großeltern ihre eigenen Vorstellungen von Erziehung auf die Enkelkinder übertragen wollen. An dem Umgang von Eltern mit ihren Kindern nehmen Großeltern manchmal wahr, welche guten und weniger guten Momente in ihrer Erziehung stattgefunden haben. Dabei kann die Erkenntnis entstehen, dass trotz aller Bemühungen nicht alles „perfekt“ war. Diese Akzeptanz kann schmerzhaft sein, ist aber notwendig, um ein gesundes, respektvolles Verhältnis zu den eigenen Kindern und Enkeln zu fördern. Der Fokus sollte dabei weniger auf der Perfektion der eigenen Erziehung liegen, sondern darauf, wie wir die Erfahrungen aus der Vergangenheit in den gegenwärtigen Beziehungen nutzen können. Ein weiteres Konfliktfeld entsteht durch die veränderten Rollen innerhalb der Familie. Wenn Eltern zu Großeltern werden, verändert sich auch ihr Status innerhalb der Familie: Die Tochter wird zur Mutter, der Sohn zum Vater. Diese Veränderung fordert von allen Familienmitgliedern Anpassungsleistungen, da sich Machtverhältnisse und Verantwortlichkeiten verschieben. Prioritäten müssen neu ausgerichtet werden. Werte und Lebensmodelle können von denen der Herkunftsfamilie abweichen. Es ist wichtig, dass sowohl Eltern als auch Großeltern die Grenzen der jeweils anderen respektieren und klar kommunizieren. 

Wie viel Erziehungsarbeit sollte den Großeltern zugestanden werden? 

Die Erziehungsaufgabe liegt eindeutig bei den Eltern. Dennoch spielt die Beziehung zu den Großeltern eine wesentliche Rolle für die emotionale und soziale Entwicklung der Kinder. Großeltern können durch ihre Unterstützung, liebevolle Begleitung und ihre Lebenserfahrung einen wertvollen Beitrag leisten. Es ist jedoch entscheidend, dass sie ihre Rolle nicht mit der der Eltern verwechseln und die erzieherischen Grenzen respektieren, die von den Eltern gesetzt werden. Eine enge Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung können die Erziehung bereichern, ohne die elterliche Verantwortung zu gefährden. 

Ronya, wie schätzt du das Beispiel mit Familie Müller und dem Schlafrhythmus ein? Müssen die Eltern sich anpassen oder die Großeltern? 

Ein häufiges Konfliktthema ist, wenn Großeltern aus Freude über das entspannte Zusammensein mit den Enkelkindern von den elterlichen Regeln abweichen. Eltern haben ein berechtigtes Interesse daran, dass der Alltag der Kinder strukturiert bleibt, um das Familienleben zu erleichtern. Sie stehen häufig unter hohem Druck, allen Anforderungen und Erwartungen im Familien- und Arbeitsalltag gerecht zu werden. Großeltern möchten hingegen vielleicht mehr Freiheiten und Ausnahmen zulassen. Und sind im Grunde froh darüber, genau diesen Zeit- und Erwartungsdruck im Umgang mit ihren Enkelkindern nicht mehr zu haben und mehr Ausnahmen zulassen zu können, als sie es in ihrer Elternrolle konnten. In diesem Fall ist es wichtig, die Befürchtungen der Eltern zu verstehen und zu klären, ob der Aufenthalt bei den Großeltern tatsächlich zu größeren Problemen führt, wie zum Beispiel zu Einschlafproblemen oder Übermüdung der Kinder. Ein Gespräch mit den Großeltern darüber kann helfen, eine Lösung zu finden, die sowohl die elterliche Struktur als auch die Großelternrolle respektiert. Dabei sollten alle Beteiligten darauf achten, dass die Kinder nicht in einen Loyalitätskonflikt geraten.

Wo liegen die Grenzen von Großeltern?

Die von den Eltern gesetzten Grenzen müssen von den Großeltern respektiert werden, um Konflikte und Missverständnisse zu vermeiden. Wenn diese Grenzen überschritten werden, ist es entscheidend, frühzeitig das Gespräch zu suchen und Lösungen zu finden, die für alle akzeptabel sind. Wichtiger als das Streitthema (zum Beispiel Schlafenszeiten, Fernsehregeln) ist oft die zugrunde liegende Dynamik – wie beispielsweise Macht, Wertschätzung und Rollenverständnisse innerhalb der Familie erlebt werden. Ein respektvoller Austausch, der auf die Bedürfnisse aller Familienmitglieder eingeht, hilft, Konflikte zu lösen und das Vertrauen zwischen den Generationen zu stärken. Die Beziehungen zwischen Eltern und Großeltern sind komplex und von vielen emotionalen, aber auch praktischen Aspekten geprägt. Die Fähigkeit zum Perspektivwechsel sowie Empathie und Selbstreflexion sind die Schlüssel für ein wertschätzendes und achtsames Miteinander. Wenn Konflikte entstehen, ist es oft hilfreich, tieferliegende Bedürfnisse zu erkennen und offen über diese zu sprechen, anstatt nur das vordergründige Thema zu behandeln. Manchmal kann es hilfreich sein, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen, zum Beispiel in Form von Familientherapie oder -beratung, um stark festgefahrene Beziehungsdynamiken zwischen den Generationen zu verändern und zu einem besseren Umgang miteinander beizutragen.

Wie können Eltern, Großeltern an einem Perspektivwechsel arbeiten, wie können sie ihn besser erlernen und anwenden?

Häufig gehen Menschen in ein Gespräch mit dem Ziel, den oder die andere davon zu überzeugen, dass die eigene Haltung die richtige ist. Dabei geht die Fähigkeit zur Empathie und Perspektivenübernahme und das ehrliche Verständnis füreinander schnell verloren. Ein Perspektivwechsel gelingt am besten durch eine offene, respektvolle Kommunikation, in der das Ziel nicht das „Rechthaben“, sondern das Verstehen des anderen ist. Dabei geht es darum, sich in die Sichtweise der anderen Generation hineinzuversetzen und ihre Beweggründe und Hintergründe zu verstehen. Wenn Eltern und Großeltern statt einer Konkurrenz eine partnerschaftliche Beziehungsgestaltung im Erziehungsgeschehen mit den Kindern und Enkelkindern anstreben, können sie sich gegenseitig bereichern. So lassen sich leichter Kompromisse finden und Unterschiedlichkeiten können eher toleriert oder vielleicht sogar wertgeschätzt werden. Aktives Zuhören und wertschätzende Kommunikation sind hierbei essenziell, um Verständnis und Empathie zu fördern und Missverständnisse zu vermeiden. Es kann auch hilfreich sein, sich als Eltern oder Großeltern in die Rolle eines/einer „Forschenden“ zu versetzen. Fragen wie: „Wie bist du zu diesem Erziehungsansatz gekommen?“ oder: „Welche Erfahrungen hast du als Eltern gemacht?“, können zu einem wertschätzenden Austausch führen, der die gegenseitige Anerkennung fördert. Selbstreflexion, Achtsamkeit und die Auseinandersetzung mit den eigenen biografischen Erfahrungen können dabei helfen, den Umgang mit den eigenen Kindern und Enkelkindern stimmig zu gestalten.

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