„Es heißt zwar Kinderbauernhof“, sagt Leiter Frank Lammerz, „aber dieser Ort ist für alle Generationen da.“ Viele Anwohner:innen kommen täglich vorbei – manche, um kurz durchzuatmen, andere, um „ihren“ Eseln auf dem Fahrrad ein fröhliches „I-A“ zuzurufen. Der Kinderbauernhof gehört seit mehr als fünf Jahrzehnten zum Stadtteil Selikum. Seine Wurzeln reichen zurück bis ins Jahr 1912, als die Stadt Neuss ein Gut mit Ackerflächen übernahm. Nachdem die Pächterfamilie in den 1970er-Jahren aufgab, entschied sich die Stadt bewusst gegen den Abriss – und für einen Lernort. „Die Stadtväter wollten, dass Kinder einer aufstrebenden Großstadt einen dauerhaften Bezug zur Landwirtschaft behalten“, erzählt Lammerz. Dieser Grundgedanke ist bis heute spürbar. Hier geht es nicht um Nostalgie, sondern darum, Zusammenhänge zu begreifen: Woher kommen unsere Lebensmittel? Wie viel Arbeit steckt in einem Stück Brot oder einem Glas Honig? „Wir wollen Landwirtschaft nicht verklären, sondern anschaulich zeigen, wo unser Essen herkommt“, betont Lammerz. Zum Hofgebäude gehören außerdem kleine Ausstellungen über das bäuerliches Leben und alte Spielzeuge. „Wir hatten damit gerechnet, dass die viel mehr die Kinder anspricht. Aber es sind tatsächlich mehr die älteren Besucher, die sich die Ausstellungen gerne anschauen“, so Lammerz.
Lernen mit allen Sinnen
Das praktische Tun steht immer im Mittelpunkt: Kinder machen Kräuterbutter, füttern Hühner, verarbeiten Eier – vom Rührei über Pfannkuchen bis zum Kuchen. Beim Imkern ziehen sie Schutzanzüge an, ernten Waben, schleudern und nehmen ein kleines Glas Honig mit nach Hause. Dabei sprechen sie über Tierhaltung, Lebensmittel, Nachhaltigkeit – ohne Zeigefinger. „Fragen wie ‚Fleisch ja oder nein?‘ sind Teil der ehrlichen Auseinandersetzung“, sagt Lammerz. Der Bauernhof ist so gestaltet, dass Lernen spielerisch und mit allen Sinnen möglich ist. Auf den Wiesen und zwischen den Ställen erleben Kinder die Kreisläufe der Natur – vom Blühen über die Ernte bis zum Winter. Historische Wasserbauwerke aus napoleonischer Zeit stauen die Gräben, Waldsofas laden zum Innehalten ein. Und wer nach oben blickt, sieht vielleicht den leeren Storchenhorst, der auf einem Mast thront. „Ehrenamtliche stellten den Horst auf, zehn Tage später hatten Störche ihn bezogen“, erzählt Lammerz. „Die Brut hat nicht geklappt – vermutlich war das Paar einfach noch zu jung. Störche sind aber standorttreu; wir hoffen aufs nächste Frühjahr.“ Solche Erlebnisse, sagt er, „bleiben hängen“. Zum Hof gehören außerdem ein Damwildgehege, ein Arboretum und eine Vielfalt an Tieren: Haflinger und Shetlandponys, Esel, Rinder, verschiedene Schafrassen wie das Coburger Fuchsschaf, Ziegen – darunter Toggenburger – sowie Geflügel und Wassergeflügel. Neben dem offenen Gelände gibt es ein wechselndes Kursprogramm für Familien und Kinder bis zwölf Jahre. Die Themen reichen von Backen und Töpfern bis hin zu Entdeckungsreisen über den Hof.
Begegnung und Inklusion
Was auf den ersten Blick wie ein klassischer Lernort wirkt, ist zugleich ein Ort der Begegnung – und der gelebten Inklusion. Das Café wird gemeinsam mit einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung betrieben. Beschäftigte der Werkstatt arbeiten fest im Team mit, backen Kuchen, schenken Kaffee aus und kommen mit Besucher:innen ins Gespräch. „Das schafft Begegnungen auf Augenhöhe“, sagt Lammerz. Auch die Beschilderung auf dem Gelände ist barrierearm gestaltet – mit einfacher Sprache, Piktogrammen und Brailleschrift. Der Zugang ist kostenfrei und das an 365 Tagen im Jahr. Es gibt keine Drehkreuze, keine Tickets. „Wir versuchen, ein niedrigschwelliger Ort für Familien zu sein. Mit dem Rad ist man in zehn Minuten am Markt – und doch fühlt es sich hier an wie auf dem Land.“ Genau das macht den Reiz des Ortes aus: ein Stück Natur mitten in der Stadt, offen für alle, unabhängig vom Geldbeutel.
Nachhaltigkeit und Gemeinschaft
Auch Nachhaltigkeit spielt auf dem Kinderbauernhof eine zentrale Rolle. Sie zeigt sich im Umgang mit Ressourcen, in der Tierhaltung und im pädagogischen Konzept. In der Kinderküche werden Lebensmittel verarbeitet, die sonst im Müll gelandet wären – Obst mit Druckstellen, Rückläufer der Tafel. „Kinder schnippeln, kochen und probieren – oft mit dem Effekt, dass sie Dinge essen, die sie zu Hause ablehnen. Selbstwirksamkeit wirkt“, sagt Lammerz. Auch das soziale Miteinander ist fest verankert. Im Mai wird gemeinsam der Maibaum aufgestellt, im November – in diesem Jahr am 22.11. – wird der große Weihnachtsbaum geschmückt, mit Waffeln, Kuchen und Punsch, alles auf Spendenbasis. Und beim Apfelkuchenfest im Rahmen der Cornelius-Oktav trifft sich der ganze Stadtteil. Getragen wird der Hof vom Grünflächenamt – und von vielen Menschen, die sich mit Herzblut engagieren: dem Förderverein, den Ehrenamtlichen und den Beschäftigten der Werkstatt. Für Frank Lammerz steht fest: „Solche Orte müssen erhalten bleiben – für alle. Denn sie zeigen, wie nah Natur, Bildung und Gemeinschaft beieinanderliegen – und wie wertvoll sie für kommende Generationen sind.“
 
 
 
 
 
 
 
