„Rituale geben Struktur und Sicherheit“, sagt dazu Tillmann Schrörs. Er ist Systemischer Elterncoach und Mediator und bietet für den Kinderschutzbund viele Kurse rund ums Elternsein an. Dabei gibt es eine Unterscheidung zur Routine; denn sie gibt zwar wie das Zähneputzen auch Struktur, hat aber nichts mit der Emotionalität von Ritualen zu tun. „Rituale sind immer sozial und emotional bedeutsam und stärken die Kommunikation. Sie können auch erst langfristig gut sein.“ Dazu gibt er ein Beispiel: Wenn ein gemeinsames Abendessen zu einer bestimmten Uhrzeit ein Kind als schrecklich empfindet, weil gerade dann die TV-Serie läuft, kann es ja als erwachsener Mensch dieses Ritual als eben doch positiv bewerten. Grundsätzlich meint Tillmann Schrörs aber, dass Rituale keinesfalls einen Zwangscharakter haben dürfen. Vielleicht sind die Rituale nicht mehr zeitgemäß oder passen nicht mehr in die Zeit. „Ich selbst habe als Kind das Ritual des gewalttätigen Knecht Ruprecht als sehr schlimm empfunden; böse Kinder wurden in den Sack gesteckt – das war damals schon schlimm und ist es heute sowieso.“ Und etwas abgeschwächter: Der Gänsebraten, den es immer in Mamas Familie am 1. Weihnachtstag gab, darf auch abgeschafft werden, wenn sich die aktuelle Familie dafür entscheidet. Rituale „dürfen“ sich verändern – ohne schlechtes Gewissen.
Unterschiedliche Bedürfnisse
Wer es von seiner Herkunftsfamilie gewöhnt ist, am Heiligabend in die Kirche zu gehen, soll mit diesem Bedürfnis natürlich in der aktuellen Familie akzeptiert werden. „Wenn nun die Mutter darauf Wert legt, der Vater aber nicht, muss verhandelt werden.“ Denn: „In den Kursen ,Starke Eltern – starke Kinder‘ geht es genau darum, dass alle unterschiedlichen Bedürfnisse gehört werden und nach einer akzeptablen Lösung für alle gesucht wird. Kein Familienmitglied darf sich in seinen Gefühlen abgewertet fühlen. Egal, für wie unmöglich ich also das Bedürfnis meines Partners finde, ich muss es akzeptieren. Dadurch lernen Kinder, dass Werte etwas Persönliches, Eigenes sind, die nicht gepredigt, sondern vorgelebt werden.“ Durch eben diese Verhandlungen können neue Rituale entstehen: Vielleicht geht die Mutter mit den Kindern in den Weihnachtsgottesdienst, während Papa schon mal den Braten in den Ofen schiebt. Vielleicht wird dann aus diesem Kompromiss, mit dem alle leben können, eine emotionale Struktur geschaffen, die die Kinder selbst später übernehmen möchten.
Weihnachtsrituale
Gerade rund um Weihnachten treffen viele Rituale aufeinander: Die Herkunftsfamilie muss bedacht werden, die eigenen Wünsche sollen nicht zu kurz kommen, und für die Kinder soll doch auch eine ganz wunderschöne Magie geschaffen werden. Das sind unglaublich viele Erwartungen und Vorstellungen, die aufeinander treffen und deshalb gut in Einklang gebracht werden müssen. Nur so können Rituale entstehen, die Herzenswärme erzeugen. Ganz konkret sollten gerade Familien zu Weihnachten gemeinsam klären: Wo feiern wir unseren Heiligabend? Müssen wir zuerst zu den (Schwieger-)Eltern, oder wollen wir als „neue“ Familie allein feiern? Feiern wir die Geburt Christi und besuchen zusammen einen Gottesdienst oder möchten wir die Weihnachtstage als Familienfest erleben? Wollen wir uns auf die religiösen Werte beziehen? Geht es uns doch eher um den kommerziellen Gedanken und viele Geschenke? Und pubertierende Kinder überlegen: Muss es wirklich der Spaziergang mit der Familie sein oder wollen wir uns lieber abends mit Freunden treffen? Wie finden wir Lösungen? Wenn jeder seine Wünsche ehrlich sagen kann, ohne Angst haben zu müssen, ausgelacht oder abgewertet zu werden, können Rituale bleiben oder sich neu entwickeln – wie es zu der Familie in der aktuellen Situation passt. Schwierig ist es, wenn Eltern in Trennung leben. Die Idee, dass Eltern dann gemeinsam und „für das Kind“ unterm Weihnachtsbaum feiern, findet Tillmann Schrörs schwierig. Vor allem dann, wenn es der Herzenswunsch des Kindes ist, dass die Eltern wieder zusammen sind. „Der größte Wunsch von Kindern ist doch, dass sich Mama und Papa wieder verstehen, dass sie als Familie wieder zusammen kommen. Viele Kinder verstehen dann nicht, warum das zu Weihnachten klappt und an Neujahr wieder alles anders ist.“ Deshalb plädiert er dafür, dass Eltern dann eben zweimal feiern. Ein schwieriges Unterfangen, wenn sich Mama und Papa genau dann wieder streiten. Aber im Sinne der Kinder sollte eine Lösung gefunden werden.
Im Rahmen bleiben
Rituale gibt es rund um das Weihnachtsfest, aber auch zu Geburtstagen, Hochzeiten. Tillmann Schrörs plädiert bei alledem dafür, dass Rituale im Rahmen bleiben sollten, „Rituale vermitteln immer eine Haltung zum Leben und geben Orientierung. Ich halte nichts davon, wenn alles immer teurer, größer, besser sein muss. Es geht doch um den Herzenskern von Ritualen, um das, was mir wirklich wichtig ist. Deshalb empfinde ich Rituale als Herzenssache.“ Dabei spielt noch ein anderer Aspekt eine Rolle: Meistens ist es doch so, dass die Mamas diese Rituale entwickeln, verantwortlich sind für Nikolausstiefel und die Magie rund um Weihnachten. Wenn wir ehrlich sind, kümmern sich auch hier, nicht immer, aber oft, Mütter um die Vorbereitungen, die Dekoration, die Geschenke für Oma, die Patentante, den Kuchen für den Kindergeburtstag – Carearbeit ist meistens nicht gleichmäßig verteilt. Das kann in diesem Jahr anders werden und läuft wie alles über ehrliche Kommunikation: Vielleicht seid ihr zufrieden mit dem Ablauf? Vielleicht aber wollt ihr all die Vorbereitungen mal anders aufteilen? Verhandeln ist dann angesagt: Welche Aufgaben können schon die Kinder übernehmen? Muss die Dekoration in diesem Jahr wirklich so ausufernd sein? Muss Mama eine Torte backen oder können wir mal darauf verzichten? Können alle Gäste etwas zum Essen mitbringen?