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Rituale als Herzenssache

„Wie viele Jahre möchtest du diesen Kinder-Geburtstagskuchen noch backen?“, fragte mein Mann. Ich war überrascht. „Immer!“, habe ich geantwortet und die Smarties auf dem Kuchen verteilt. Unser Sohn wird 18! Hey, da gibt’s doch einen Geburtstagskuchen. Okay, es ist genau der, den er auch mit drei Jahren bekommen hat. Das muss so! Ein Ritual, auf das ich bestehe. Und er wird natürlich mit diesem Kuchen geweckt! Das ist ein Ritual! 

Kerze auf Muffin

Eva Rüther

26.11.2025

Lesezeit 5 Minuten

„Rituale geben Struktur und Sicherheit“, sagt dazu Tillmann Schrörs. Er ist Systemischer Elterncoach und Mediator und bietet für den Kinderschutzbund viele Kurse rund ums Elternsein an. Dabei gibt es eine Unterscheidung zur Routine; denn sie gibt zwar wie das Zähneputzen auch Struktur, hat aber nichts mit der Emotionalität von Ritualen zu tun. „Rituale sind immer sozial und emotional bedeutsam und stärken die Kommunikation. Sie können auch erst langfristig gut sein.“ Dazu gibt er ein Beispiel: Wenn ein gemeinsames Abendessen zu einer bestimmten Uhrzeit ein Kind als schrecklich empfindet, weil gerade dann die TV-Serie läuft, kann es ja als erwachsener Mensch dieses Ritual als eben doch positiv bewerten. Grundsätzlich meint Tillmann Schrörs aber, dass Rituale keinesfalls einen Zwangscharakter haben dürfen. Vielleicht sind die Rituale nicht mehr zeitgemäß oder passen nicht mehr in die Zeit. „Ich selbst habe als Kind das Ritual des gewalttätigen Knecht Ruprecht als sehr schlimm empfunden; böse Kinder wurden in den Sack gesteckt – das war damals schon schlimm und ist es heute sowieso.“ Und etwas abgeschwächter: Der Gänsebraten, den es immer in Mamas Familie am 1. Weihnachtstag gab, darf auch abgeschafft werden, wenn sich die aktuelle Familie dafür entscheidet. Rituale „dürfen“ sich verändern – ohne schlechtes Gewissen.

Unterschiedliche Bedürfnisse 

Wer es von seiner Herkunftsfamilie gewöhnt ist, am Heiligabend in die Kirche zu gehen, soll mit diesem Bedürfnis natürlich in der aktuellen Familie akzeptiert werden. „Wenn nun die Mutter darauf Wert legt, der Vater aber nicht, muss verhandelt werden.“ Denn: „In den Kursen ,Starke Eltern – starke Kinder‘ geht es genau darum, dass alle unterschiedlichen Bedürfnisse gehört werden und nach einer akzeptablen Lösung für alle gesucht wird. Kein Familienmitglied darf sich in seinen Gefühlen abgewertet fühlen. Egal, für wie unmöglich ich also das Bedürfnis meines Partners finde, ich muss es akzeptieren. Dadurch lernen Kinder, dass Werte etwas Persönliches, Eigenes sind, die nicht gepredigt, sondern vorgelebt werden.“ Durch eben diese Verhandlungen können neue Rituale entstehen: Vielleicht geht die Mutter mit den Kindern in den Weihnachtsgottesdienst, während Papa schon mal den Braten in den Ofen schiebt. Vielleicht wird dann aus diesem Kompromiss, mit dem alle leben können, eine emotionale Struktur geschaffen, die die Kinder selbst später übernehmen möchten.

Weihnachtsrituale

Gerade rund um Weihnachten treffen viele Rituale aufeinander: Die Herkunftsfamilie muss bedacht werden, die eigenen Wünsche sollen nicht zu kurz kommen, und für die Kinder soll doch auch eine ganz wunderschöne Magie geschaffen werden. Das sind unglaublich viele Erwartungen und Vorstellungen, die aufeinander treffen und deshalb gut in Einklang gebracht werden müssen. Nur so können Rituale entstehen, die Herzenswärme erzeugen. Ganz konkret sollten gerade Familien zu Weihnachten gemeinsam klären: Wo feiern wir unseren Heiligabend? Müssen wir zuerst zu den (Schwieger-)Eltern, oder wollen wir als „neue“ Familie allein feiern? Feiern wir die Geburt Christi und besuchen zusammen einen Gottesdienst oder möchten wir die Weihnachtstage als Familienfest erleben? Wollen wir uns auf die religiösen Werte beziehen? Geht es uns doch eher um den kommerziellen Gedanken und viele Geschenke? Und pubertierende Kinder überlegen: Muss es wirklich der Spaziergang mit der Familie sein oder wollen wir uns lieber abends mit Freunden treffen? Wie finden wir Lösungen? Wenn jeder seine Wünsche ehrlich sagen kann, ohne Angst haben zu müssen, ausgelacht oder abgewertet zu werden, können Rituale bleiben oder sich neu entwickeln – wie es zu der Familie in der aktuellen Situation passt.   Schwierig ist es, wenn Eltern in Trennung leben. Die Idee, dass Eltern dann gemeinsam und „für das Kind“ unterm Weihnachtsbaum feiern, findet Tillmann Schrörs schwierig. Vor allem dann, wenn es der Herzenswunsch des Kindes ist, dass die Eltern wieder zusammen sind. „Der größte Wunsch von Kindern ist doch, dass sich Mama und Papa wieder verstehen, dass sie als Familie wieder zusammen kommen. Viele Kinder verstehen dann nicht, warum das zu Weihnachten klappt und an Neujahr wieder alles anders ist.“ Deshalb plädiert er dafür, dass Eltern dann eben zweimal feiern. Ein schwieriges Unterfangen, wenn sich Mama und Papa genau dann wieder streiten. Aber im Sinne der Kinder sollte eine Lösung gefunden werden.  

Im Rahmen bleiben

Rituale gibt es rund um das Weihnachtsfest, aber auch zu Geburtstagen, Hochzeiten. Tillmann Schrörs plädiert bei alledem dafür, dass Rituale im Rahmen bleiben sollten, „Rituale vermitteln immer eine Haltung zum Leben und geben Orientierung. Ich halte nichts davon, wenn alles immer teurer, größer, besser sein muss. Es geht doch um den Herzenskern von Ritualen, um das, was mir wirklich wichtig ist. Deshalb empfinde ich Rituale als Herzenssache.“ Dabei spielt noch ein anderer Aspekt eine Rolle: Meistens ist es doch so, dass die Mamas diese Rituale entwickeln, verantwortlich sind für Nikolausstiefel und die Magie rund um Weihnachten. Wenn wir ehrlich sind, kümmern sich auch hier, nicht immer, aber oft, Mütter um die Vorbereitungen, die Dekoration, die Geschenke für Oma, die Patentante, den Kuchen für den Kindergeburtstag – Carearbeit ist meistens nicht gleichmäßig verteilt. Das kann in diesem Jahr anders werden und läuft wie alles über ehrliche Kommunikation: Vielleicht seid ihr zufrieden mit dem Ablauf? Vielleicht aber wollt ihr all die Vorbereitungen mal anders aufteilen? Verhandeln ist dann angesagt: Welche Aufgaben können schon die Kinder übernehmen? Muss die Dekoration in diesem Jahr wirklich so ausufernd sein? Muss Mama eine Torte backen oder können wir mal darauf verzichten? Können alle Gäste etwas zum Essen mitbringen?

Adventskalender, verschiedene Säckchen mit Nummern hängenan einer Leine

Rituale ohne Stress – der Adventskalender

Ein Adventskalender ist wunderbar, wenn er ein Ritual ist, das Vorfreude auf Weihnachten schafft. Das Befüllen kann aber wieder Stress bedeuten. Viele Kinder erwarten mittlerweile die tollsten und teuersten Geschenke. Wir können Kalender von Playmobil, Lego und Co. kaufen, hinstellen und warten, dass das Kind sich freut. In der Schule können Sohn und Tochter dann erzählen, welch tolle Geschenke es heute wieder entdeckt hat – was gibt es denn wohl noch zu Weihnachten? Vielleicht haben wir mal Lust, einen anderen Adventskalender zu schaffen: aus Stoffresten, Altpapier oder anderem zu recycelndem Material.

Letztlich könnte es auch darum gehen, Zeit zu verschenken. Dies lässt sich ja auch mit kleinen Figuren von Lego, Süßigkeiten und Co. kombinieren. Zeit zum Vorlesen, gemeinsam Backen, ein kleiner Ausflug – hier können sich Rituale entwickeln, die Herzenswärme schaffen!

Zeit statt Zeug

Gemeinsam backen: Jeder sucht sich ein Rezept, und dann geht’s los. Kleine Kinder können in Rezeptbüchern gucken, was ihnen am besten zusagt 
Gemeinsame Waldwanderung mit einem Picknick
Fingerfarben selbst machen 
Gemeinsam einen Kakao trinken und dabei ein Hörspiel hören
Aus Klorollen eine Krippe basteln
Gutschein für einen Ausflug wie zum Beispiel ins Kino

Die Adventszeit

Wie oft sagen wir den Kindern, dass wir jetzt gerade keine Zeit haben, erschöpft sind und eine Pause für uns selbst brauchen. Vielleicht könnten wir einmal versuchen, die Adventszeit mit Zeit zu gestalten. Nicht nur mit einem Adventskalender voller „Zeit-Gutscheine“ können wir das erreichen, sondern auch mit kleinen Ritualen, die jede Familie sich selbst – gemeinsam mit den Kindern – überlegen und schaffen kann. Vielleicht besuchen wir vor Weihnachten schon einmal einen Gottesdienst. Vielleicht bauen wir eine Krippe auf; die Heiligen Drei Könige können durch die Zimmer wandern – sie haben ja den längsten Weg. Es geht doch eigentlich darum, diese Vorweihnachtszeit als eine besondere zu gestalten, die sich abhebt von den anderen Monaten.

Der Kindergeburtstag

Natürlich sind die Erwartungen hoch – eigentlich von allen: Der Geburtstag soll für das Kind unvergesslich werden. Warum beziehen wir es in die Planungen nicht mit ein? Okay, das hängt vom Alter ab. Aber statt Zauberer, Soccerhalle, Nonstop-Aktivitäten ist vielleicht eine Schnitzeljagd toll. Vielleicht ist eine Zeit ohne Programm wichtig für die Jungs und Mädchen? Sie haben vielleicht Spaß daran, selbst ein Spiel zu überlegen, zu reden und sich „groß“ zu fühlen. „Ich hatte mal einen tollen Zauberer eingeladen“, erzählt Heike. „Na ja, er war weder besonders lustig noch spannend. Auf einmal sah ich, dass ein Heuballen auf dem Feld brannte. Zusammen mit den Kindern lief ich hin, und wir beobachteten die Feuerwehr. Die Kinder waren total begeistert. Ich gebe zu, das war ein glücklicher Zufall. Ich habe aber gemerkt, wie leicht eigentlich die Kinder zu begeistern sind. Das Geld für den teuren Zauberer hätte ich mir sparen können.“

Im Mittelpunkt der Familie

Seit mehr als 20 Jahren informieren wir Eltern, Großeltern und alle, die mit Kindern leben oder arbeiten über Neuigkeiten aus der Region, Veranstaltungen, Themen, Tipps und Angebote. Wir entdecken die Stadt und ihre Umgebung auch immer wieder neu – das Entdeckte teilen wir gerne mit euch.

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