Gestern war ich mit meiner erwachsenen Tochter im Kino, und wir haben uns „Vier Mütter für Edward“ angesehen. Es geht um einen irischen schwulen Schriftsteller, der seine nach einem Schlaganfall gebeutelte Mutter betreut. Aus Gründen laden seine Freunde deren Mütter auch noch ein paar Tage bei ihm ab, und er hat alle Hände voll zu tun, die vier mehr oder weniger pflege- bzw. betreuungsbedürftigen Damen bei Laune zu halten und gleichzeitig sein Buch zu promoten, das gerade herausgekommen ist. In einer Szene spricht eine dieser fremden Mütter über ihren toten Mann, und dass sie ihn trotz heftiger Auseinandersetzungen geliebt hat und jetzt vermisst. So war das damals eben. Edward meint daraufhin, dass deshalb auch alle seine Freunde in Therapie seien. Und obwohl diese Frau gerade zugegeben hat, dass es durchaus problematische Aspekte in den Familien gab und man nicht gut miteinander umging, fragt sie: „Und was haben wir damit zu tun?“ Die Leute im Kino fanden’s lustig. Ich auch, war ja nur ein Film.
Mom-Guilt vs. passt schon
Wir kennen diesen Zugang, mit Fehlern umzugehen, von der Kriegs- und Nachkriegsgeneration: Es war so, Schwamm drüber. Nur bedingt ein gesunder Zugang, und außerhalb des Kinos ist es auch keinesfalls lustig, an jemanden zu geraten, der so wenig gewillt ist, sich mit schwierigen Themen seiner Biografie auseinanderzusetzen. Andererseits ist niemandem vorzuschreiben, wie sie oder er mit Fehlern umgeht. Diesbezüglich haben sich die Zeiten jedenfalls geändert. Kaum eine Mutter setzt sich heutzutage abends hin und blickt zufrieden oder auch nur achselzuckend auf den Tag, der hinter ihr liegt: So war’s halt, passt schon. Für das Schuldgefühl, mit dem sich viele Mütter heute herumschlagen, gibt es im Englischen einen eigenen Begriff: „mom guilt“. Mom-Guilt schlägt zu, wenn wir noch einen letzten Blick auf unsere engelsgleichen schlafenden Kinder werfen und uns fragen: Wie konnte ich zu Mittag so ausflippen? Mom-Guilt hat uns im Griff, wenn wir noch schnell die x-te Job-Mail bearbeiten und unser Kind keinen Kuschel-Vorlese-Nachmittag auf der Couch bekommt, sondern wieder mal seine Lieblingsserie gucken darf. Mom-Guilt ist allgegenwärtig, und das aus einem sehr einfachen Grund: Je wichtiger uns ein Thema, desto strengere Maßstäbe legt unser innerer Kritiker dabei an, desto unbarmherziger geht er mit uns ins Gericht – er läuft also zur Höchstform auf, wenn es um unsere Kinder und unsere Performance als Mutter geht. Versuchen wir also, die Mom-Guilt-Problematik ein bisschen aufzudröseln.
Mom-Guilt ist normal
Weil der innere Kritiker besonders streng bei Themen ist, die uns am Herzen liegen, entkommst du ihm naturgemäß nicht, wenn es um deine Kinder geht. Aber genau deshalb ist diese überkritische innere Stimme kein guter Indikator dafür, dass du etwas besonders schlecht oder falsch machst, sondern nur dafür, dass du in diesem Bereich versuchst, alles besonders richtig zu machen. Glaub also keinesfalls alles, was die Stimme dir erzählt. Leichter gesagt als getan, ich weiß. Zwei Tipps dazu, die ich hilfreich finde: Gib der Stimme einen Namen – meine heißt Thekla – und mach sie so zu einem Gegenüber, zu etwas, das nicht du bist. Wenn Thekla dann wieder einmal besonders hart mit dir ins Gericht geht, kannst du sie besser in ihre Schranken weisen. Sie hat einen Namen, sie ist nicht du. Hör ihr aber trotzdem zu und versuch, ihre Muster zu verstehen. Coachin Zoe Blaskey nennt es so: Spot it to stop it – also etwas erkennen, um es zu stoppen. Denn Thekla hat gar nicht so viel Text auf Lager, sie wiederholt sich gern, und sie sagt Dinge, die sie vor langer Zeit gelernt hat. Thekla tut es gut, wenn man ihr mit Verständnis begegnet. Thekla ist lernfähig, aber hab Geduld, sie ist auch sehr stur.
Mom-Guilt ist oft eigentlich etwas anderes
Schuldgefühle stellen sich ein, wenn man glaubt, etwas falsch gemacht zu haben. Als Mutter fühlst du dich jedoch bereits schuldig, wenn du nicht alles richtig gemacht hast. Weil du dich aber nicht klonen und überall gleichzeitig sein kannst, ist Schuld oft fehl am Platz. Du machst nichts falsch, wenn du dich erst um Kind2 kümmerst, obwohl Kind1 auch etwas von dir braucht. Oder dein:e Partner:in oder deine Eltern. Du hast nur zwei Hände, dein Tag hat nur 24 Stunden, also bist du gestresst, fühlst dich zerrissen. Versuch also, dir in solchen Momenten vor Augen zu halten: Ich tu gerade, was ich kann, so gut ich es kann. Ich mache nichts falsch. Ein weiterer Mom-Guilt-Trigger sind Erwartungen von außen: „Mama, bleib dahaaaa“ (dein Sohn, als du zum Mädelsabend aufbrichst), „Wir sollten uns mal unbedingt wieder zum Sport verabreden“ (deine Freundin), „Die Fortbildung hat mich wirklich weitergebracht, empfehle ich dir auch“ (deine Kollegin). Bei all diesen Beispielen handelt es sich um die Vorstellungen anderer, die an dir zuppeln. Mach dir klar: Du hast dir den Mädelsabend verdient und für Betreuung an dem Abend gesorgt. Du hast gerade keine Zeit und auch keine Lust auf Sport, du fährst jeden Tag mit dem Rad zu Arbeit und bist mehr als körperlich ausgelastet. Und für die Fortbildung müsstest du dir vier Wochenenden rausreißen – bei aller Liebe, das ist im Moment nicht drin. Also alles richtig gemacht, so, wie es dir im Moment entspricht. Vertrau deinen Entscheidungen! Mir hilft in solchen Fällen eine kleine Visualisierung: etwa eine imaginäre Glaswand, die ich hochfahre, und hinter der mich das Gezuppel anderer nicht erreicht.