Wähle deine persönlichen Lebensstufen. Wir versuchen dir nur die Inhalte anzuzeigen, die für dich gerade zutreffend sind.

Seiteninhalt
Seiteninhalt
Erziehungs- stolpersteine

Vereinfacht gesagt bekommen die erstgeborenen Kinder durch die ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern zu Beginn ihres Lebens einen leichten Startvorteil mit. Dafür ist die Geburt des Geschwisterkindes so ein radikaler Einschnitt für Erstgeborene, dass auch vom „Entthronungstrauma“ gesprochen wird. Ein Begriff aus der Psychoanalyse, um die negativen Gefühle zu beschreiben, die ältere Kinder erleben, wenn ein jüngeres Geschwisterkind geboren wird. Welche Herausforderungen gibt es noch bei Geschwisterkindern, wenn man sich die der Geburtenreihenfolge zuzuschreibenden Eigenschaften anschaut?

Porträt von Dr. Elisabeth Müller, im Hintergrund Steinmauer

Laura Rüther

04.11.2025

Lesezeit 3 Minuten

„Eldest Daughter Syndrome“ (EDS) ist keine psychiatrische Diagnose, aber auf Social Media identifizieren sich viele Erstgeborene mit der „Bürde“, vermehrt Druck und Verantwortung als älteste Tochter einer Familie zu verspüren. Es kann sich beispielsweise entwickeln, wenn sie stets auf die kleineren Geschwister aufpassen und ihnen bei den Hausaufgaben helfen müssen.  Eltern können ihre erstgeborenen Kinder dabei unterstützen, ihre eigenen Grenzen zu erkennen und einzufordern. Fragen wir Frau Dr. Elisabeth Müller, sechsfache Mutter und Vorsitzende des Verbandes kinderreicher Familien, wie man „Geschwister-Erziehungsfallen“ vermeiden kann. 

Haben Sie Ideen, wie Eltern schon früh dem geschilderten Verantwortungsdruck der Ältesten entgegensteuern können, sodass Kinder später im Leben diesen Leidensdruck nicht verspüren?

Eltern können gegensteuern, indem sie Verantwortung nicht automatisch den Ältesten zuschreiben, sondern Aufgaben bewusst gerechter verteilen. Wichtig ist, dass alle Kinder erleben, dass Verantwortung eine gemeinsame Sache ist. Das Älteste soll den Freiraum haben Kind zu bleiben. Wichtig erscheint mir zudem, dass Eltern regelmäßig reflektieren, wie stark sie das älteste Kind tatsächlich einbinden und Rückmeldungen von außen ernst nehmen. Denn nicht selten nehmen Außenstehende deutlicher wahr, wie viel Verantwortung ein Kind trägt, als die Eltern selbst im Alltag.

Mit dem Wissen, dass Geschwister durch ihre Geburtenreihenfolge tendenziell bestimmte Eigenschaften vermehrt aufzeigen, haben Sie eine Idee, wie man dieses Wissen als Eltern nutzen kann, um eine gute Geschwisterbeziehung von Anfang an zu fördern?

Eltern sollten sich aus meiner Sicht weniger an Mustern der Geburtsreihenfolge orientieren, sondern an ihrem eigenen Gespür. Geschwisterbeziehungen entstehen nicht von selbst harmonisch, sie brauchen vor allem Zeit, gemeinsame Erfahrungen und die Begleitung der Eltern. Rivalität gehört dazu, denn gerade im täglichen Aushandeln lernen Kinder Nähe, Distanz und Teamgeist. Wichtig ist auch, anzuerkennen, dass sich Beziehungen wandeln dürfen. Mal steht einem der Bruder näher, mal die Schwester. Solche Dynamiken sind normal und Teil des Familienlebens. Entscheidend ist, dass Kinder erfahren, dass Bindung trägt – auch dann, wenn sie sich verändert. In meiner eigenen Familie habe ich erlebt, dass aus Konkurrenz, Reibung und Versöhnung im Laufe der Jahre ein festes Band gewachsen ist. Heute, als junge Erwachsene, sind meine Kinder eng miteinander verbunden. Das zeigt mir, dass Eltern vor allem Raum schaffen können, damit die Kinder ihre Geschwisterbeziehung selbst leben und gestalten können.

Laut der Geschwisterstudie von 2025 haben Sandwichkinder besonders kooperative Persönlichkeiten – im Erwachsenenalter bestimmt von Vorteil. Im Kleinkindalter jedoch kommt es oft jede zehn Minuten zum Konflikt. Sollte man als Eltern genauer hinsehen, wenn die mittleren Kinder in Konfliktsituationen immer den Kürzeren ziehen? 

Die Studie schreibt den sogenannten Sandwichkindern besondere Kooperationsfähigkeit zu. Dies sei ein besonderer Vorteil im Erwachsenenleben. Im Kleinkindalter zeigt sich das Bild oft widersprüchlicher, denn alle paar Minuten geraten Geschwister in Streit, und nicht selten sind es die Mittleren, die sich zwischen den Fronten wiederfinden. Eltern tun gut daran, hier genauer hinzusehen. Konflikte sind kein Makel, sondern ein Motor der Entwicklung. Kinder lernen dabei Aushandlung, Abgrenzung, Selbstbehauptung. Problematisch wird es erst, wenn ein Kind dauerhaft in der Rolle des Unterlegenen verharrt. Und dies ist aus meiner Sicht unabhängig davon, ob es das mittlere, das älteste oder jüngste ist. Entscheidend ist weniger die „Position“ im Familiengefüge als die Aufmerksamkeit, die jedes Kind erfährt. Wer jedes Kind in seiner Situation und mit seinen Bedürfnissen wahrnimmt, der erkennt, dass es nicht um Gleichmacherei geht, sondern um die Förderung von Selbstwirksamkeit. Aus eigener Erfahrung mit meinen Kindern weiß ich, wie herausfordernd es ist, jedem Einzelnen gerecht zu werden und wie viel Energie, Geduld und Selbstreflexion das kostet. Doch diese Investition zahlt sich aus. Denn Kinder, die erleben, dass ihre Bedürfnisse gesehen und ernst genommen werden, gewinnen an Selbstvertrauen und innerer Stärke. Deshalb möchte ich allen Eltern ans Herz legen, hier besonders aufmerksam zu sein. Es lohnt sich für jedes einzelne Kind und für das Miteinander der ganzen Familie.

Im Mittelpunkt der Familie

Seit mehr als 20 Jahren informieren wir Eltern, Großeltern und alle, die mit Kindern leben oder arbeiten über Neuigkeiten aus der Region, Veranstaltungen, Themen, Tipps und Angebote. Wir entdecken die Stadt und ihre Umgebung auch immer wieder neu – das Entdeckte teilen wir gerne mit euch.

Datenschutzeinstellungen

Wir nutzen bei dieser Website die unten aufgeführten, externen Dienste. Diese Dienste können Cookies setzen und ihnen wird Ihre IP-Adresse übermittelt. Darüber können diese ggf. Ihre Aktivitäten und Ihre Identität im Web bestimmen und nachverfolgen ("Tracking"). Ihre Einwilligung dazu können Sie jederzeit widerrufen. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen.

Datenschutzhinweise