Es ist der erste Akt im Leben eines Neugeborenen, nach der Mutterbrust zu suchen, um mit kräftigem Saugen Hunger und Durst zu stillen und Geborgenheit und Wärme zu spüren. Liebe geht durch den Magen – von Anfang an. Auch auf religiöser Ebene steht das Essen als Voraussetzung für die physische Existenz im Vordergrund. Noch vor moralisch-zwischenmenschlichen Fragen wie Schuld und Vergebung, beginnt das „Vater unser“ nach der einführenden Lobpreisung des Herrn mit der zentralen Bitte um die Gabe des täglichen Brots. Weltlich ausgedrückt sprechen wir von „Mutter Erde“, die seit Millionen von Jahren die Lebensbedingungen für Mensch, Tier und auch Pflanzen bietet.
Von Sammlern zu Siedlern
In Bezug auf die Weltgeschichte erst vor Kurzem, nämlich gerade mal vor ungefähr 11 000 Jahren, fingen die Menschen mit dem Ackerbau an. Dieser Schritt machte unsere nach Beute jagenden und Beeren sammelnden Vorfahren von Nomaden zu Siedlern. Zunächst wurden Weizen, Mais und Reis angebaut. Mit der Entwicklung von Pflügen, Bewässerungssystemen und der Optimierung von Werkzeugen konnten im Laufe der Zeit größere Anbauflächen und damit immer mehr Ressourcen genutzt werden. Mit dem sesshaften Leben entstanden erste Dörfer und die Bevölkerung wuchs, wodurch ein höherer Bedarf an Nahrungsmitteln und Anbauflächen entstand. Dieser Prozess ist bis heute im Gange und längst ist Getreide Nahrungsgrundlage für die Weltbevölkerung geworden. Jede Generation überlässt der nächsten bildlich gesprochen den Acker, auf dem ihre Nahrung wachsen wird. Mit dem Anbau kamen auch die Zubereitung und Aufbewahrung von Speisen auf. Der Prozess vom Feld bis auf den Teller ist heute kaum noch im Bewusstsein der Menschen, sondern an fertig nett verpackte Produkte im Supermarktregal verloren gegangen. Mühevolle Arbeitsschritte lassen sich hinter den lockenden Aufmachungen nicht mehr nachvollziehen, vor allem für Stadtkinder.
Kinder in der Küche
Das sieht Erzieherin Svenja Bauer kritisch und betont: „Wir lassen die Kleinen so viel wie möglich aktiv bei der Zubereitung von Mahlzeiten mithelfen. Die Kinder sollen nicht nur die Endprodukte kennen, sondern auch am Entstehungsvorgang teilhaben“. Und so gibt es viele fleißige Bäckermädchen und -jungen, die am Brotbacktag Korn mahlen, Ingredienzien mischen, kneten und in den Ofen stecken. Nahrung spricht bei der Zubereitung alle Sinne an und schafft mit den Händen ein haptisches Erlebnis, über die Düfte wird der Geruchssinn verfeinert und am Ende beim Genuss werden die unendlich vielen Zellen für den Geschmackssinn aktiviert, wenn wir uns das Essen sprichwörtlich im Munde zergehen lassen. Die Wertschätzung von Nahrungsmitteln wird durch das aktive Mitmachen besonders gefördert. Neben dem Selbstmitmachen wirkt es auch schon anregend auf Heranwachsende, den Erwachsenen bei ihren Handgriffen in der Küche zuzuschauen. In dem Kindergarten wird vor den Mahlzeiten auch ein Gebet gesungen: „Erde, die uns dies gebracht, Sonne, die es reif gemacht, liebe Sonne, liebe Erde, Euer nie vergessen werde.“ So werden die vielen Elemente, derer es bedarf, den Teller zu füllen, in Dankbarkeit bewusst gemacht. Julie ist Mutter von drei Kindern und betont, wie wichtig es ihr auch daheim von Anfang an war, dass Irma und ihre kleinen Schwestern Pola und Madlaina, Nahrungsmittel in ihrem Urzustand – getrennt voneinander – kennenlernen und sie nicht nur im Endzustand in einem Gericht vermischt serviert zu bekommen. „Bei unseren Mahlzeiten“, so Juli, „stehen immer viele Schüsseln auf dem Tisch mit Gurkenscheiben, Möhren und Dips. Den Kindern bleibt also immer die Vielfalt der Bestandteile bewusst.
Ernährung ist in
Das Thema Ernährung ist in aller Munde – nicht nur während des Kauens, sondern es ist „in“: Es gibt unzählige Ernährungstipps mit Varianten von Basis- über Vollwert-, Bio- bis hin zu Gourmetspeisen. Im Fernsehproramm haben sich etliche Kochshows etabliert, wo um die Wette um das tollste Menu geschnitten und gerührt wird. Köche mutieren zu Fernsehstars. Aus dem Überleben ist längst Überfluss geworden, zumindest in den großen Industrienationen, und das Feld von einst liegt heute nicht nur vor dem Dorf, sondern auch auf anderen Kontinenten. Eine Voraussetzung dafür, dass ein Großangebot an industriell verarbeiteten Nahrungsmitteln die Regale herkömmlicher Supermärkte füllt – viel Ware für wenig Geld und geringen Aufwand bei der Zubereitung zu Hause. Schmecken soll es und schön aussehen. Das geht so weit, dass Obst oder Gemüse, deren Aussehen nicht dem vorgegebenen Einheitslook entspricht, ungegessen seine Bestimmung verfehlt und auf dem Müll landet.
Unsere Nahrung unser Schicksal
Der Arzt Dr. med. Otto Bruker war ein Verfechter der Vollwerternährung und schrieb in den Achtzigerjahren mehrere Bücher zum Thema Essen und Gesundheit, in denen er sich mit ernährungsbedingten Zivilisationskrankheiten auseinandersetzte. Er machte stets auf die Unterscheidung zwischen den Ursachen der Krankheit und den Ursachen der Symptome oder Beschwerden aufmerksam. Nur dann könne eine effektive Auseinandersetzung erfolgen. Er war der festen Überzeugung, dass ein Großteil der Entstehung von Krankheiten in der Ernährung liege. Essen soll natürlich erst einmal schmecken und einen sinnlichen Genuss bereiten: Wir werden in der Serie das Thema Ernährung vielfältig und von vielen Seiten für unsere Leser:innen zubereiten.