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Bewegte Kinderzeit

Eltern möchten für ihren Nachwuchs in der Regel das Beste. In dem Wissen, wie neugierig und aufnahmefähig besonders Kleinkinder sind, melden sie ihre Kinder häufig zu Mal-, Back-, Koch- und Sprachkursen an. So haben diese bereits im Vorschulalter einen recht vollen Terminkalender. Was dabei jedoch oft zu kurz kommt, ist die Bewegung.

Fünf Kinder balancieren auf einem Holzbalken, im Hintergrund eine Wiese und Bäume

Andrea Vogelgesang

19.05.2025

Lesezeit 5 Minuten

Der Frühling bringt Freude für Menschen jeden Alters. Endlich kann man wieder ohne dicken Pulli, Mantel, Schal oder Handschuhe ins Freie gehen – und das so oft wie möglich. Besonders Eltern wie Eva und Tobias atmen auf, dass die graue Winterzeit vorüber ist, in der sie sich an den Wochenenden auf dem Spiel- oder Sportplatz die kalten Füße vertreten mussten. Denn ihre beiden Kinder wollen ungeachtet jeglicher Tiefs oder Kaltwetterfronten immer nach draußen. Ansonsten würde die geballte Energie in den eigenen vier Wänden zur Nervenprobe. „Vor allem bei meinem inzwischen achtjährigen Sohn beobachte ich, wie viel Bewegung er braucht – und das war schon immer so. Ausgiebiges Laufen, Klettern, Hüpfen und Fußballspielen sind für sein Wohlbefinden unverzichtbar. Wenn er sich ausgepowert hat, ist er später zu Hause ganz ausgeglichen. Bei seiner zwei Jahre jüngeren Schwester ist das ähnlich, aber nicht so stark ausgeprägt.“

Einfluss von Bewegung auf körperliche, seelische und geistige Entwicklung

Im Kindesalter gehört Bewegung zu den grundlegenden Bedürfnissen – sie ist für Kinder so wichtig wie Essen und Trinken. Für eine gesunde Entwicklung empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Kinder im Alter von drei bis vier Jahren mindestens 180 Minuten körperliche Aktivität täglich, davon mindestens 60 Minuten mit moderater bis hoher Intensität. Diese Empfehlungen werden heutzutage jedoch oft unterschritten. Dabei ist kein strukturiertes Trainingsprogramm gemeint, sondern natürliches Spielen und Toben entsprechend den kindlichen Bedürfnissen. Experten betonen die Vorteile des Spiels unter freiem Himmel, insbesondere in natürlichen Umgebungen, die komplexe Reize bieten. Kinder sollten je nach Alter auch die Gelegenheit haben, unbeaufsichtigt Erfahrungen zu sammeln und ihre Grenzen auszutesten. So entwickeln sich nicht nur psychische und motorische, sondern auch soziale Fähigkeiten. Demgegenüber stehen jedoch das städtische Leben und ein durchgetakteter Alltag.

Bewegungsmangel

Diesen Punkt spricht die Erzieherin Kristina Morr an, die vor 18 Jahren eine Weiterbildung zur Motopädin abgeschlossen hat und als PlusKita-Kraft in einer Essener Kita tätig ist. Sie sagt: „Es muss nicht der teure Sportclub sein. Den Weg zur Kita oder Schule täglich zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückzulegen, ist eine einfache Möglichkeit, den natürlichen Bewegungsdrang der Kinder in den Tagesablauf zu integrieren. Eltern gehen mit gutem Beispiel voran, wenn sie statt des Aufzugs die Treppe nehmen, für Einkäufe das Auto stehen lassen oder selbst Sport treiben.“ Trotz zahlreicher Anmeldungen in Sportvereinen leiden heutzutage viele Kinder und Jugendliche unter Bewegungsmangel. Nicht nur der Konsum von Fernsehen und Internet, sondern auch fehlende Gelegenheiten im Alltag tragen zu diesem Problem bei. Das Spielen auf der Straße ist keine Selbstverständlichkeit mehr, und die meisten Wege werden im Auto zurückgelegt. Ein oder zwei Stunden Sport pro Woche können diesen Mangel kaum ausgleichen.

Bewegungsmuster als Grundlage für Denkmuster

Die Ausbildung der Körperlichkeit in der frühkindlichen Entwicklung spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunft in Bezug auf Gesundheit, Lernen und Bildung. In jungen Jahren drücken Kinder durch Bewegung ihre Bedürfnisse aus, wodurch körperliche Entwicklungsprozesse stimuliert werden. Doch die Wirkung beschränkt sich nicht nur auf physische Fertigkeiten. Es ist bekannt, dass Kinder über Bewegung und sinnliche Eindrücke zu grundlegenden Erkenntnissen gelangen. Es geht also um mehr als nur Spiel und Spaß. Thomas Berg, Konrektor einer Grundschule, beklagt, wie sehr bereits jüngste Kinder mit Sprach- und Malkursen verplant sind. Er betont die Wichtigkeit freier Zeit zum Spielen: „Beim Balancieren und Klettern werden Nervenzellen im Gehirn miteinander verbunden, die zum Beispiel das mathematische Denken positiv beeinflussen können.“ Freies Spielen ist demnach weit mehr als ein schöner Zeitvertreib – es wirkt als bedeutender Ko-Faktor fürs lebenslange Lernen. Im öffentlichen Diskurs wird zunehmend darauf hingewiesen, dass mangelnde Bewegung im Kindesalter später zu schlechter Fitness, Haltungsschäden oder kognitiven Schwierigkeiten bis hin zu gesundheitlichen Problemen führen kann.

Motorik und Intelligenz

Der Entwicklungspsychologe Jean Piaget bezeichnet die erste von vier Entwicklungsstufen als „sensomotorische Intelligenz“. Damit verknüpft er die Bereiche Motorik und Intelligenz zu einer Einheit. Sensorische Reize werden in den ersten Lebenswochen mit entsprechenden motorischen Aktivitäten wie Spontanbewegungen und Reflexen beantwortet. Daraus entwickeln sich später intentionale Bewegungen. Wenn Eltern die Freude ihres Neugeborenen am Kreisen und Werfen der Ärmchen und Beinchen beobachten, sind sie sich oft nicht bewusst, wie sehr hier bereits entscheidende Prozesse für die spätere kognitive Entwicklung ablaufen. Aus dem konkreten, handlungsnahen, egozentrischen Denken im Kleinkindalter entsteht später die Fähigkeit zur Abstraktion. Während der ersten Erkundungen der Umgebung mit allen Sinnen finden komplexe Reifungs- und Entwicklungsprozesse in ständiger Auseinandersetzung mit der natürlichen und sozialen Umwelt statt. Für den Organismus ist eine regelmäßige körperliche Beanspruchung wichtig, um alle seine Funktionen zu aktivieren – Bewegung fungiert dabei als unerlässlicher Motor. Einen gegenläufigen Eindruck vermittelt die immer häufigere Beobachtung von Handys oder Tablets in Kinderhänden. Noch nicht einmal der Windelzeit entwachsen, scheint die Fertigkeit, Displays zu bedienen – meist im Sitzen – bereits ausgebildet, doch die Fein- und Grobmotorik bleibt auf der Strecke. Diese muss in diesem Alter jedoch durch reale körperliche Erfahrungen geschult werden. Von diesem Problem berichten Erzieher:innen und Grundschullehrer:innen zunehmend.

Titelseite des Buches Vom Glück mit dem Wind zu leben

Wider den Wind – ein motivierendes Beispiel

Eine inspirierende Geschichte: Die niederländische Autorin Renske Jonkman beschreibt, wie sie sich besonders an kalten und stürmischen Tagen gemeinsam mit ihren drei Töchtern bewusst den Witterungsverhältnissen stellt. Die Familie lebt am Meer und läuft so oft wie möglich freudig gegen den Wind – als Übung, den Widrigkeiten des Lebens entgegenzutreten. Regengüsse und nasse Kleidung betrachtet sie als Chance, sich selbst, den Atem und Herzschlag zu spüren. „Im Gegenwind, der manchmal von allen Seiten zu kommen scheint“, sagt sie, lasse sie ihre Kinder zur Schule radeln. Erst ab Windstärke fünf nimmt sie das Auto.

Sinnliches Erleben – Fingerspitzengefühl

In den ersten Lebensjahren verspüren Kinder von sich aus den natürlichen Drang, ihre Umgebung mit den Händen zu ertasten und sinnlich wahrzunehmen. Aus diesen haptischen Erfahrungen baut sich allmählich ihr Wissen auf. Ein Stein wird nicht nur in den Bach geworfen, sondern vorher genau untersucht: Wie rau oder glatt ist seine Oberfläche? Wie schwer fühlt er sich an? Wie kleine Forscher:innen eignen sich Kinder auf diese Weise unbewusst Kenntnisse über Gegenstände an – und auch über ihren eigenen Körper, etwa beim Klettern auf einen Baum, Rennen oder Springen von einer Mauer. Kristina Morr betont den ganzheitlichen Ansatz der Kitas, der auch Grundlage ihrer Arbeit ist. Dementsprechend wird das Kind stets als Einheit von Körper, Seele und geistigen Fähigkeiten betrachtet. Der Fokus liegt auf einem entwicklungsorientierten, individuellen Blick auf jedes Kind. „Ich setze auf die Stärken und stelle den Bedarf des Einzelnen in den Mittelpunkt. Dabei helfen Spiele, die Entwicklungsimpulse setzen. Nur im aktiven Tun bilden sich die entsprechenden Synapsen im Gehirn“, erklärt die Motopädin. Sie betont zudem, wie wichtig es in der Kindheit ist, Grenzen kennenzulernen – Abstände und Geschwindigkeiten zu erleben, sich sozusagen zu „erlaufen“ oder zu „erklettern“. Diese Erfahrungen werden internalisiert und bilden eine Grundlage unter anderem für mathematisches Denken. „Um das Sinnessystem anzuregen, gibt es ein Repertoire an Spielen wie die sogenannten Kimspiele, bei denen Schmecken, Fühlen, Riechen, Hören und Sehen im Mittelpunkt stehen. Mit verbundenen Augen eine Frucht am Geschmack oder Geruch zu erraten oder Gegenstände zu erfühlen, schärft die Sinne. Auch Tischspiele können – in der Kita oder zu Hause – in Bewegung erfolgen. Beim Memory etwa liegt eine Hälfte der Karten auf einem Sofa, die andere in einer anderen Ecke des Raums. Um sie zu erreichen, müssen die kleinen Spieler:innen vielleicht einen Reifenparcours durchlaufen. Das sorgt für bewegte Momente und noch mehr Spaß“, so Kristina Morr. Sie gibt außerdem zu bedenken: „Ein Puzzle muss nicht am Tisch gemacht werden – es funktioniert ebenso gut auf dem Boden, wo sich die Kleinen zwischendurch wälzen oder zappeln können. In der Schule und das ganze Leben lang muss man noch genug stillsitzen – das sollte man vorher nicht erzwingen.“

Selbstbewusstsein

Kleine Kinder sind Nachahmer:innen und entwickeln auf Basis einer guten emotionalen Beziehung zu den Menschen in ihrem Umfeld Schritt für Schritt ihre Selbstwirksamkeit. Durch Nachahmen eignen sie sich zunehmend körperliche Fähigkeiten an. Dazu gehören auch Zögern, Ausprobieren, Selbstüberwindung und Mut. Das wachsende eigene Können stärkt das Selbstbewusstsein und die Selbsteinschätzung. Geschickte Kinder sind zudem beliebte Spielpartner:innen und motivieren sich gegenseitig, immer neue Dinge auszuprobieren. Evas Sohn kann mit seinen acht Jahren bereits unbeaufsichtigt mit seinen Freunden vor der Haustür spielen, wozu auch Herausforderungen gehören: Besonders stolz ist er, wenn er sich etwas zutraut – etwa aufs Garagendach zu klettern, um den über das Ziel geschossenen Fußball herunterzuholen. Die drei Meter meistert er zügig – sowohl beim Auf- als auch beim Abstieg. Jeder Handgriff sitzt, weil er das schon oft geübt hat.

Wider den Wind – ein motivierendes Beispiel

Zum Schluss noch eine inspirierende Geschichte: Die niederländische Autorin Renske Jonkman beschreibt, wie sie sich besonders an kalten und stürmischen Tagen gemeinsam mit ihren drei Töchtern bewusst den Witterungsverhältnissen stellt. Die Familie lebt am Meer und läuft so oft wie möglich freudig gegen den Wind – als Übung, den Widrigkeiten des Lebens entgegenzutreten. Regengüsse und nasse Kleidung betrachtet sie als Chance, sich selbst, den Atem und Herzschlag zu spüren. „Im Gegenwind, der manchmal von allen Seiten zu kommen scheint“, sagt sie, lasse sie ihre Kinder zur Schule radeln. Erst ab Windstärke fünf nimmt sie das Auto.

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