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Woher kommen wir, wohin gehen wir?

Wie Menschen miteinander und mit ihren Kindern umgehen, ist immer auch davon geprägt, wie die Gesellschaft gerade tickt. Entsprechend hat sich ihr Blick auf Erziehung im Lauf der Zeit fundamental gewandelt. Wir begeben uns auf Spurensuche.

Kind an der Hand der Mutter, im Gegenlicht fotografiert mit Sonnenflecken

Pia Arras-Pretzler

26.04.2023

Lesezeit 3 Minuten

Wie die Menschen in der Früh- und Urgeschichte mit ihren Kindern umgingen, darüber können wir nur spekulieren – um zu überleben, mussten sie sich zu Gruppen zusammenschließen, und so liegt nahe, dass Kinder viele Bezugspersonen hatten, die sich um sie kümmerten. Die Verantwortung verteilte sich also auf viele Schultern, was vielleicht erklärt, warum wir uns im klassischen Vater-Mutter-Kind-Modell manchmal etwas einsam und überfordert fühlen. Schriftliche Zeugnisse liefern erst die späteren Hochkulturen, wie etwa die der Griechen und Römer. Sie haben bestimmte Vorstellungen, wie sich junge Menschen verhalten sollen, und prompt kommt es zu Konflikten: „Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer!“, motzt Sokrates.

Gott Vater und Mutter Maria

Mit der Ausbreitung des Christentums nimmt sich die Kirche mehr und mehr der Erziehung von Erwachsenen und Kindern an und beeinflusst tiefgreifend die Vorstellungen, die sich Menschen von einem gelungenen Leben machen. Stark vereinfacht gesagt geht es darum, Punkte fürs Jenseits zu sammeln. Irdischer Schmerz wird dort in Freude verwandelt werden, und die Angst vor einem strafenden, strengen Gott sitzt tief. Der erstarkende Klerus geht mit dem Adel eine unheilige Allianz ein und zementiert eigene Machtstrukturen, indem er den Fokus auf Gehorsam und Gottesfurcht legt und die gesellschaftliche Ordnung als gottgewollt darstellt.

Kinder sind mehr als kleine Erwachsene

Die Aufklärung Mitte des 17. Jahrhunderts wehrt sich gegen diese Sichtweise und nimmt das erste Mal Kinder als eigenständige Wesen in den Blick. Davor waren sie lediglich als kleine Erwachsene betrachtet worden. Männer wie der Philosoph John Locke kommen nun zu dem Schluss, dass Kinder ein unbeschriebenes Blatt seien, das die Erziehung zu füllen habe. Heute sehen wir das anders, können aber immer noch nicht mit Sicherheit sagen, wie Veranlagung und Umwelt genau zusammenspielen.

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Theorie und Praxis klaffen von Beginn an auseinander

Etwa hundert Jahre später, 1770, versucht der Schweizer Pädagoge Pestalozzi die aufklärerische Pädagogik von Rousseau auf seinen eigenen Sohn anzuwenden – und scheitert kläglich. Da haben wir sie wieder mal, die große Schere zwischen Theorie und Praxis: Das Tagebuch des Vaters zeigt, wie schlimm er sich darin verrannte, die Theorien Rousseaus in die Praxis umzusetzen. Der Vater bricht das Experiment ab, als sein Sohn elf ist – und bringt ihn nach Basel zu Freunden der Familie. Der Sohn kehrt erst wieder ins Elternhaus zurück, als das Schlimmste sozusagen überstanden und er mehr oder weniger erwachsen ist. Auch eine Möglichkeit! Das Ehepaar Pestalozzi kümmert sich währenddessen um größere Gruppen armer Kinder. Pestalozzis Prinzip, Menschen zu befähigen, sich selbst zu helfen, findet sich später auch in der Montessori-Pädagogik. Pestalozzi gilt ungeachtet seiner nur mäßig ausgeprägten Vater-Qualitäten als großer, wegweisender Theoretiker, auch wenn er für die Bedürfnisse seines eigenen Sohns völlig blind war.

Harte Zeiten

In der patriarchalischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts geht es vor allem um Zucht und Ordnung. Der wilhelminische Staat profitiert von Menschen, denen Gehorsam schon als Kinder eingeprügelt wurde. Und vollwertige Menschen sind genau genommen nur Männer, denn Kinder und Frauen gehören juristisch gesehen dem Familienoberhaupt – auch wenn es hauptsächlich die Frauen sind, die sich um die Kinder kümmern.

Vorsichtiger Wandel

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzt langsam ein Wandel ein – Kinder sollen als Individuum geachtet und gefördert werden, fordern progressive Pädagogen. Die italienische Ärztin und Pädagogin Maria Montessori (1870–1952) fällt in diese Zeit. Ihre Überzeugung: „Das Leben anzuregen – und es sich dann frei entwickeln zu lassen – hierin liegt die erste Aufgabe des Erziehens. Nicht das Kind sollte sich der Umgebung anpassen, sondern wir sollten die Umgebung dem Kind anpassen.“ Solche Konzepte sind in der NS-Zeit jedoch überhaupt nicht gefragt. Nun herrscht wieder Zucht und Ordnung, die Gesellschaft bestraft eigenständiges Denken und Ausbruchsversuche aus dem menschenverachtenden Korsett der Nazi-Ideologie brutal. Nach dem Krieg spaltet sich Deutschland auch, was die Erziehung anbelangt, in Ost und West, mit einem sehr traditionellen Familienbild im Westen (kombiniert mit Versuchen antiautoritärer Erziehung in den 60er- und 70er-Jahren) und flächendeckender Kinderbetreuung im Osten, um Frauen den Rücken frei zu halten, einer Arbeit nachgehen zu können. Nach der Wiedervereinigung bröselten die Strukturen, die Betreuungsinfrastruktur erreicht im Osten aber zu keiner Zeit den niedrigen Stand des Westens. Was damit illustriert werden soll: Ob eine Frau ein schlechtes Gewissen hat, wenn sie zu Hause bleibt, oder ob sie damit hadert, zu wenig zu Hause bei ihren Kindern zu sein, ist sicherlich Typsache. Aber auch geprägt davon, welche Werte die Gesellschaft hochhält und in welcher Tradition sie aufgewachsen ist.

Heute: Läuft nicht schlecht

Heute, in den 20er-Jahren des 21. Jahrhunderts, gibt es eine unglaubliche Vielfalt an Erziehungsratgebern und Herangehensweisen. Die Zeichen stehen vordergründig auf partnerschaftlicher Gestaltung des Familienalltags und einem Erziehungsstil, der versucht, die Bedürfnisse von Eltern und Kindern in Einklang zu bringen. Was mal schlechter, mal besser klappt, jedenfalls, solange keine Pandemie plötzlich die gesamte Familie am Küchentisch stranden lässt. Mit Eltern im Home-Office und der Herausforderung, den homebeschulten und kindergartenlosen Nachwuchs bei Laune zu halten. Ohne den gewohnten Austausch auf Spielplätzen und Spielgruppen, zurückgeworfen auf sich selbst an eben diesem Küchentisch. Diese Zeit hat Spuren hinterlassen, an denen wir als Gesellschaft wohl noch ein Weilchen zu knabbern haben werden, aber das ist ja wieder eine ganz andere Geschichte.

Im Mittelpunkt der Familie

Seit mehr als 20 Jahren informieren wir Eltern, Großeltern und alle, die mit Kindern leben oder arbeiten über Neuigkeiten aus der Region, Veranstaltungen, Themen, Tipps und Angebote. Wir entdecken die Stadt und ihre Umgebung auch immer wieder neu – das Entdeckte teilen wir gerne mit euch.

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